Telepolis

Ende der Heimlichkeiten

Michael Klarmann 19.04.2006

Erstmals durfte ein Fotograf das Innenleben des BND ablichten. Erstaunliche Einblicke von Andreas Magdanz

Hätte es je plakative Schilder mit der Aufschrift "Streng geheim" an den Mauern und Zufahrten des Bundesnachrichtendienstes in Pullach gegeben, nun könnte man sie wieder abnehmen. Denn ab dem 11. April 2006 kann jeder, der es wissen will, für 55 Euro in nahezu allen Buchhandlungen Deutschlands das Fotobuch BND-Standort Pullach (1) von Andreas Magdanz erwerben. Inhalt: rund 120 Fotos aus dem Innenleben des BND. Als Bonus liegt sogar eine Karte des Areals bei. Das liegt nahe München neben der Isar und wurde aufgebaut auf den Überresten der "Reichssiedlung Rudolf Hess".

Der 43-jährige, renommierte Fotograf hat sechs Monate auf dem Gelände des BND fotografiert. Seine Bilder liefern erstmals Einblicke in die abgeschottete Welt des Auslandsnachrichtendienstes. Nach langer Vorbereitungszeit und Sicherheitsüberprüfung konnte er von August 2005 bis Anfang dieses Jahres auf dem Areal fotografieren. Über die Vorgespräche mit der BND-Leitung sagt er rückblickend: "Ich war mir nie so ganz sicher, wirst du instrumentalisiert oder nicht." Immerhin bewegte sich Magdanz plötzlich in einer Behörde, die Informationen beschafft und zuweilen Desinformationen streut. Zudem lief die Diskussion um den bevorstehenden Umzug auf Hochtouren (vgl. Kostspieliger Umzug (2))).

Meine Überlegung zuvor war, dass ich den Umzug nach Berlin beeinflussen könnte, weil das Gelände jetzt en detail gezeigt wird. Da sind natürlich viele Stufen der Geheimhaltung gebrochen worden.
Andreas Magdanz

Abgesehen von einer ständigen Begleitperson des Sicherheitsdienstes habe er jedoch machen können, was er wolle:

Ich habe immer gesagt, zeigt mir alles, was wichtig ist, aber ich will keine wirklichen Geheimnisse mitbekommen. Ich wollte verhindern, dass andere Geheimdienste an mich herantreten und sagen: Erzählen Sie doch mal!

Erstmals erlaubte also der BND, dessen Mitarbeiter sogar ihre Mobiltelefone mit Kamerafunktion am Einlass abgeben müssen, einem Außenstehenden tiefe Einblicke.

Für den BND war es auch das erste Mal, dass man jemanden abteilungsübergreifend in die Zentrale gelassen hat. Eigentlich gibt es in der Zentrale so gut wie niemanden, der durch alle Referate geht, weil es dafür keinen Grund gibt.

Selbst innerhalb des 68 Hektar großen Areals schotten sich also einzelne Referate ab, gibt es Geheimnisse innerhalb des Geheimdienstes. Das dient freilich auch zum Schutz vor Doppelagenten, jenem Super-Gau aus Zeiten des Kalten Krieges.

Rund 600 Fotos hat Magdanz in Pullach hinter und an den BND-Mauern gemacht. Ein Fünftel davon findet sich in seinem Fotobuch. Es sind Stillleben mit den klassischen Motiven eines Geheimdienstes, aber - das war die Bedingung - ohne dessen Mitarbeiter im Bild. Zu sehen sind etwa Überwachungskameras, Gitter und herabgelassene Rollladen, Stacheldrahtzäune, Überwachungsmonitore und Uhren mit der aktuellen Uhrzeit aus vielen Teilen der Erde. Unterirdische Bunker beherbergen eine "Raumschießanlage". In einem Schutzraum trifft der Betrachter auf knallrote Schalensitze, die farblich mit dem grünen Bodenbelag nur korrespondieren, weil Modeerscheinungen der 1970er Jahre heute wieder top sind. Auf manchen Außenbildern liegt Schnee - und natürlich sind die Straßen und Gehwege akkurat geräumt.

Herzstück des BND ist das Lage- und Informationszentrum, kürzlich in einem ARD-Zweiteiler erstmals via Bildröhre oder Flachbildschirm in deutschen Wohnstuben zu bestaunen. Magdanz lässt den Betrachter irgendwo im hinteren Bereich dieses BND-Leitstandes sitzen, davor leere Monitore. Man weiß nicht genau, ob es nicht auch der Leitstand eines Atomkraftwerkes sein könnte oder schlicht nur ein multimedialer Hörsaal an einer x-beliebigen Uni. Links im Bild sieht man jedoch eine große Weltkarte, rechts ein kleines Porträt von Bundespräsident Horst Köhler. Neben vielen Motiven in Magdanz' Buch, die eher an die 1970er Jahre erinnern, zeigen das Lage- und Informationszentrum sowie der Leitstand Rechenzentrum doch noch einen hochmodern Nachrichtendienst.

Auf den ersten Blick nicht zu dazu passen will indes das "Haus 37", die frühere "Bormannvilla", im Salon mit dem Ölbild des Preußenkönigs Alter Fritz geschmückt. Neben Teilen der noch von den Nationalsozialisten erbauten Bunkeranlagen ist jene Villa eines der sichtbarsten Zeichen, auf welchem geschichtsträchtigen Grund der BND seine Zentrale baute. In Nazideutschland stand hier die "Reichssiedlung Rudolf Hess", erbaut für Mitarbeiter der NSDAP-Parteikanzlei. In besagter Villa lebte der Reichsleiter der NSDAP, Martin Bormann. Heute dient die Villa dem BND als "Präsidentenhaus".

Magdanz fotografierte schon andere Orte, deren Untergang oder Umwandlung bevor stand. Er dokumentierte etwa mit seiner Arbeit über die "Dienststelle Marienthal" den Wahnwitz atomarer Kriegplanungen. Die unterirdische Bunkeranlage im Ahrtal war der "Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes". Auch das eine sensible Örtlichkeit der deutschen Nachkriegsgeschichte, denn im Fall eines atomaren Angriffs sollte die Bundesregierung hier Schutz finden und weiter regieren (vgl. Der Wahnwitz atomarer Kriegsspiele (3)). Was auffällt an den Bildern aus Marienthal und denen vom BND, ist ein hohes Maß an Klischees. Ein Geheimdienst ist eben ein Geheimdienst und hatte seine Hochzeiten in Europa, als Thriller noch kitschig sein durften und der Kalte Krieg fast ein brandheißer zu werden drohte.


"Ich glaube nicht, dass das woanders auf der Welt so schnell möglich wäre, dass ein Geheimdienst die Türen aufmacht", lobt Magdanz den BND. Und ergänzt: "Über sechs Monate hinweg verselbstständigt sich so eine Arbeit, und dass wissen auch die Leute im Leitungsstab."

Im gewissen Maße stimmt das, und zu den bloßstellendsten Motiven gehört daher auch das "Waldhaus", einst die Schocktherapie für angehende Geheimdienstler. Denn im Inneren der trist wirkenden Baracke trifft der Betrachter auf einen Art Kinosaal, bei dessen Anblick er sich unweigerlich fragt, ob Hildegard Knefs damaliger Skandalfilm aus den 1950er Jahren, "Die Sünderin", gerade erst abgespult wurde. Reihen alter Klappsessel aus Holz dienen als Sitzmöbel, alles in allem stecken geblieben in den 1960er Jahren. Der Saal diente dem BND bis 1995 noch als Ausbildungszentrum...

Links

(1) http://www.bnd-standortpullach.de
(2) http://www.telepolis.de/r4/artikel/18/18155/1.html
(3) http://www.telepolis.de/r4/artikel/7/7240/1.html

Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/r4/artikel/22/22438/1.html

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